Frankfurter Allgemeine Zeitung, Buchbesprechung vom 23.12.2013
Modernes Führungswissen
Heinz K. Stahl erklärt postklassisches Management
Wenn man den wenig spektakulären Titel „Führungswissen“ dieses Buches liest, könnte man geneigt sein, das schlicht, nicht auf Hochglanzpapier daherkommende Buch rasch ungelesen beiseitezulegen. Kommt hier etwa – dieses Mal aus der Feder eines österreichischen Betriebswirtschaftlers – eine weitere (redundante) Führungsfibel mit wohlfeilen Ratschlägen zur optimalen Führungsstruktur? Beim Blättern in der Schrift und insbesondere, wenn man die Lektüre mit dem Epilog beginnt, wird deutlich, worum es dem Autor geht.
Heinz K. Stahl propagiert, und dies nicht zum ersten Mal (F.A.Z. vom 3. September 2012), das postklassische Management in Unternehmen und Verwaltungen. Postklassisches Management versteht er als ein überlegtes und nachdenkendes Management, das auf solidem Führungswissen und prägnanten Begrifflichkeiten beruht. Führung müsse, so Stahls zentrale Forderung, als Profession – vom lateinischen Wort für Bekenntnis, „professio“ – verstanden und gelebt werden. Dazu brauchten Führungskräfte ein umfangreiches, nicht nur fachbezogenes Wissen – ein Wissen, das sie mit bestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten zu einer hohen Führungskompetenz verknüpfen müssten.
Das für ein postklassisches Management erforderliche Führungswissen und dessen Grundlagen versucht Stahl in seinem neuen Buch in ungewöhnlicher Weise zu vermitteln: Er nimmt den geneigten Leser mit auf eine Reise durch 70 Themenfelder zeitgemäßer Führung. Er verzichtet auf langatmige Abhandlungen und präsentiert 70 intelligent geschriebene kleine Essays, die der Leser auch einzeln mit Gewinn lesen kann. Er skizziert darin ein umfangreiches, philosophische und psychologische Erkenntnisse rezeptierendes Hintergrundwissen und offeriert insgesamt eine gehörige Portion Rüstzeug für eine postklassische Führungskonzeption. Die Lektüre erweitert den Horizont der Leser; sie kann und soll hierfür aufgeschlossenen und mit genügend Geduld ausgestatteten Managern jenseits der täglichen Hektik zum Reflektieren über das eigene Führungshandeln anregen.
Die vom Autor ausgewählten Begriffe reichen von A wie „Abbilden“ bis Z wie „Zuhören“. Dabei geht es ihm zum einen darum, mittlerweile sehr beliebig verwandte und überstrapazierte Begriffe wie Kommunikation, Macht, Motivation oder Team radikal zurechtzurücken und zu präzisieren. Zum anderen will er den aktuellen Wissensstand zu modernen Führungsthemen wie etwa Schwarmverhalten, Selbstmanagement, „Storytelling“ und Mentoring in Kurzform darlegen. Das Buch wird seinem Anspruch gerecht. Allerdings erscheint die Selektion der abgehandelten Begriffe etwas willkürlich. Warum wurden beispielsweise nicht auch Begriffe wie Spieltheorie, Matrixorganisation, Netzwerke oder Projektmanagement aufgegriffen?
Die Lektüre dieser lehrreichen, aber erfreulicherweise nicht lehrbuchhaften Schrift ist für nachdenkende Führungskräfte bereichernd, denn in Zeiten hoher Komplexität und Kontingenz brauchen moderne Organisationen in Wirtschaft und Verwaltung dringender denn je neue, mit hoher Führungskompetenz ausgestattete Manager, die nicht in den Management Schools geklont wurden. Gefragt sind Persönlichkeiten, die überzeugen und soziale Verantwortung übernehmen, nicht reine Technokraten, die nur funktionieren.
ROBERT FIETEN